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14.04.2011
16:10
Wie versklave ich eine Gesellschaft der es gut geht?
so oder ähnlich, bewusst oder unbewusst, könnte die
Fragestellung zum Umbau unserer Gesellschaft vor 30 Jahren
gelautet haben.
Wie kam es dazu? Ende der sechziger und in den siebziger
Jahren fand in einigen westlichen Industriegesellschaften ein
Schub in Sachen Demokratie statt. In Deutschland hatte eine
lange von der CDU dominierte, streng konservative Phase ihr
vorläufiges Ende gefunden. JWD
Die Machtelite hatte die Kraft des einsetzenden
Erneuerungsprozesses unterschätzt. Unter Führung der SPD war
eine breite Solidarität in unserer Gesellschaft erwacht.
Unter dem Druck des damaligen demokratischen Zeitgeistes,
hatten Regierung und starke Gewerkschaften vieles in
Richtung gerechtere Verteilung und Teilhabe an der
wirtschaftlichen Entwicklung für unser Gemeinwohl geleistet.
Keynesianische Wirtschaftsphilosophie hatte sich durchgesetzt
und ein beachtlicher Wohlstand wurde realisiert. Arbeitgeber
mussten sich anpassen und teilweise regelrecht um ihre
Arbeitnehmer buhlen. Der Wert der Arbeit hatte ein
beachtliches Niveau erreicht. Alte Machtstrukturen
bröckelten. Vergleichbare Vorgänge fanden auch in anderen
westlichen Demokratien statt, wie Frankreich, England und
den USA.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Die wirklich
Mächtigen dieser Welt formierten sich. Mit Hilfe der schon
damals beherrschten Meinungsmaschinerie wurde alles was die
Solidarität der Besitzlosen herbeiführte oder stärkte
dämonisiert und für nahezu alle Probleme die aufkamen
verantwortlich gemacht. Den Demagogen der Zeit gelang es,
die öffentliche Meinung wieder nach rechts zu verschieben.
Mit Margret Thatcher in England und Ronald Reagen in den
USA, wurde der Neoliberalismus a la Milton Friedman auf
Kosten des bis dahin gut funktionierenden Keynesianismus
etabliert. Weltweit wurden Volkswirtschaften zerstört und
diesen die neue Ideologie mit meist katastrophalen Folgen
übergestülpt. Die radikale Einführung der Globalisierung war
eine weitere wirtschaftliche Komponente des
Neoliberalismus, um die Widerstände einzelner
Nationalstaaten zu überwinden. Demokratie, Freiheit und
Menschenrechte waren die eher fadenscheinigen,
vorgeschobenen Argumente, mit denen in der Öffentlichkeit
das imperialistischen Handeln gerechtfertigt wurde. Die
Realität zeigte gegensätzliche Tendenzen. Demokratie wurde überall
dort ausgehebelt, wo man Widerstände befürchtete. Selbst
Militärdiktaturen wurden gestützt, wenn sie nur willig
bereit waren, die neoliberale Doktrin, unter Leitung der
Chicagoboys einzuführen.
Der Neoliberalismus ist eine Ideologie, bei der
Arbeitskosten etwas absolut unerwünschtes darstellen und die
quasi rein angebotsorientiert Selbstzweck ist. Eine solche
Ideologie kann keinen starken Staat, keine Solidarität der
auszubeutenden Arbeiter und keine Teilhabe der Unpersonen an
den Produktionsmitteln oder der Wertschöpfungskette ertragen. Der Wert
der Arbeit ist dann optimal, wenn er gegen null geht.
Um diesem Ziel näher zu kommen haben die Strategen ein
ziemlich menschenunwürdiges, den Sozialstaat aushebelndes
Instrumentarium ausgeklügelt. Es besteht darin, dass man die
arbeitende Bevölkerung endsolidarisiert, sie gegenseitig
aufhetzt und so ein extremeres Konkurrenzdenken entfacht.
Rationalisierung, Produktionsverlagerung, damit verbundene
Massenarbeitslosigkeit gingen voran. Wohl wissend wie die
menschlichen Bedürfnisse sofort in sich zusammenfallen,
sobald die elementaren Grundbedürfnisse wie Essen und
soziale Sicherheit nicht mehr erfüllt sind.
Durch veränderte Steuergesetze wurde den Kapitalseigners
Kapitalflucht ins Ausland schmackhaft gemacht. Ein
Ausverkauf unserer Wirtschaft folgte. Die solide
Eigenkapitaldecke, die deutsche Firmen durch
Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer aufbauen konnten und vom
Staat gefördert worden war, wurde durch steuerbegünstigte
ausländische Übernahmen in kürzester Zeit ausgezehrt. Um der
selbstverschuldeten Kapitalflucht entgegenzuwirken, kam man
nicht etwa auf die Idee die verursachenden Gesetze
rückgängig zu machen, nein, man wollte die ganze
Arbeiterschaft strangulieren, indem man Billiglohnsektor zu
installieren als notwendig ansah, um die Kapitalflüchtlinge
im Land zu halten.
In Deutschland hatte man diesen einmal angestoßen, fast selbst laufenden
Prozess auf nahezu geniale Weise in Gang gesetzt. Die
möglicherweise schwierigste Aufgabe (positive Annahme)
bestand darin, die damalige rot-grüne Regierung, eigentlich
eine von der Gegenseite, entsprechend umzupolen. Das
Stichwort hieß: -Liberalisierung des Arbeitsmarktes-. Durch
hintergründige Vorbereitung von Bertelsmann & Co bei den
Politikern, sowie durch die Arbeit einer Kommission „Moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ unter der Leitung von
Peter Hartz, wurde von Kanzler Schröder, in einer fast Nacht-
und Nebelaktion, die ganze bisherige soziale Absicherung ohne
Not über Bord geworfen.
Zum Schaden der Allgemeinheit und zum Wohle des eigenen
Geldbeutels wurde auf Mord und Kaputt privatisiert was das
Zeug hält. So könnte man den gigantischen Aktionismus dieser
Phase des Sozialabbaues kennzeichnen. Die mediale Macht der
Nutznießer hatte diese beispiellose Demontage unserer
sozialen Errungenschaften nicht ohne Erfolg, als längst
überfällige Reform verkauft.
Plötzlich waren die Arbeitslosen nicht arme,
ausgeschlossene, solidaritätsbedürftige benachteiligte
Menschen, sondern schuldbeladene Drückeberger, Sozialschmarotzer und
Abschaum der Gesellschaft. Ganz offen sprach man wieder von
Schichten, hier von der Unterschicht, der man durch
Repressalien Beine machen müsse. Die Überlebensmöglichkeiten
der Ausgegrenzten hat man finanziell so stark eingeschränkt, dass zwangsläufig ein
Kampf zwischen denen die Arbeit haben und den
Arbeitssuchenden sich entfesseln musste.
Sozialleistungen werden nur gewährt, wenn jeder bereit ist,
jede Drecksarbeit, zu jedem Preis anzunehmen.
Die Argumente, man wolle den Druck nur erhöhen um
Langzeitarbeitslose wieder in Brot und Lohn zu bringen,
entpuppten sich bei näherer Betrachtung als hohle Fraßen.
Aktuell haben wir etwa 8 bis 10 Millionen Menschen die
von Arbeitslosigkeit unmittelbar betroffen sind und größtenteils gerne arbeiten würden.
Diesem Potential stehen aber nur 1 Million offene
Stellen gegenüber. In dieser 1 Million offenen Stellen
(vielleicht auch gerade 1,5 Millionen), sind wiederum ein
erheblicher Anteil von geringfügiger oder schlecht bezahlter
Beschäftigung enthalten. Diese Offerten dürften
eigentlich die Bezeichnung offene Stelle gar nicht haben,
denn sie sind das Papier für die Bewerbung nicht wert.
Mindestanforderungen sind von Nöten.
Anzahl und schon gar nicht die Qualität der offene Stellen,
reichen nicht einmal für die aktuell 1,2 Millionen
Arbeitssuchenden vom 1. Arbeitsmarkt, ganz zu schweigen von den
6-9 Millionen vom II und vom III. Arbeitsmarkt, die ja
ebenfalls um die wenigen Angebote buhlen. Die existentiellen
Nöte der Betroffene, verstärkt durch behördliche
Repressalien und Aufweichung der Sozialgesetze führten
unweigerlich zum Verfall des Arbeitwertes an für sich und
folgerichtig zur Ausweitung des Niedriglohnsektors, der die
Marke von 20% mit zunehmender Tendenz bereits überschritten
hat. Die schwächsten der Gesellschaft werden ausgenutzt,
denn nicht etwa ihrer Arbeitskraft wird wirklich gebraucht,
sondern sie werden zum Aufbau des Niedriglohnsegmentes
instrumentalisiert und missbraucht. Der nicht zuletzt
dadurch generierte weltweite Exporterfolg unserer
Wirtschaft, beschert den Nutznießern hohe Renditen. Dieses
perverse Erfolgssystem wird aber gerade davon getragen, dass
der Unterschicht keine Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg
zukommen darf.
Wer also, wie im Kern unsere derzeitige schwarz-gelbe
Regierung, Arbeitsmarktpolitik so versteht, dass man nur den
Druck auf die Arbeitslosen erhöhen müsse, um sie quasi zur
Arbeit zu zwingen, greift de Facto unsere sozialen
Errungenschaften in ihren Grundfesten an. Denn durch solch
fehlgeleitete Politik entsteht kein vernünftiger
Arbeitsplatz zusätzlich. Vielmehr werden bestehende, aus
gemeinwirtschaftlicher Sicht meist
bessere Arbeitsplätze
verdrängt, zu Gunsten von schlechteren, oft in Zeit- oder
Leiharbeit. Leiharbeit kommt Sklavenarbeit schon ziemlich
nahe und müsste verboten sein!
Die durch Gesetzgebung künstlich herbeigeführte Not, wirkt
als Hebel über die Endsolidarisierung mit Lohndumping weit in die Arbeitswelt hinein und führt zu einer
Schwächung des Staates und zu einer Auszehrung der
Sozialsysteme.
Jetzt kann man auch leicht nachvollziehen, warum die
Arbeitgeberverbände, den Mindestlohn scheuen, wie der Teufel
das Weihwasser, denn das würde ja bedeuten, zwischenzeitlich
heilige Kühe zu schlachten und nicht zwangsläufig, aber
möglicherweise auf etwas vom Profit zu verzichten, den man
für Kapitalanlagen oder Investitionen im Ausland gerne
nutzen würde um die Rendite noch etwas zu steigern . Mindestlöhne sind aber
unabdingbar für jeden, dem wirklich etwas an unserem
Gemeinwohl liegt. Die Gewerkschaften wären gut beraten, wenn
sie sich aus der neoliberalen Doktrin befreien und echte soziale
Markwirtschaft anstreben würden. Ein ausgeglichener Haushalt
ist der Schlüssel dazu. Die Löhne müssen steigen!
Übrigens, die Gewinne der Dax- Unternehmen sind kräftig
gestiegen, ihre Investitionen tätigen sie gleichwohl im
Ausland. So jedenfalls Nachrichtenmeldungen der letzten
Tage.
Selbst Norbert Blüm hat in seinem neu erschienenem Buch
viele Systemimmanenten Fehler der derzeitigen
Wirtschaftspolitik durchaus zutreffend entlarvt und fordert
den Wert der Arbeit wieder anzuerkennen. Wenn ich ihm auch
in vielen sonstigen Einsichten nicht folgen kann, erscheint
mir seine Wirtschaftskritik wichtig und richtig. Wolfgang
Lieb von den Nachdenkseiten hat heute eine Rezension über
Blüms Buch veröffentlicht. JWD
..zur Rezension von Wolfgang Lieb bei nds.de
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