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24.02.2014 16:00
Ein schlimmes Stück von einem Hoffnungsträger der Grünen
Gerade hört man Erstaunliches aus dem Auswärtigen Amt von Michael Roth (SPD). Dieser scheint doch tatsächlich erkannt zu haben, dass die Europäische Krise etwas mit dem "ausufernden Niedriglohnsektor" in Deutschland zu tun hat. Ob er dies seinem Chef, den selbsternannten wahren Arbeitgeberfreund, Außenminister Steinmeier, schon mitgeteilt hat, bleibt zu hoffen. Von einem solchen Erkenntnisprozess sind die Grünen offensichtlich noch meilenweit entfernt. Zumindest dann, wenn die jüngsten wirtschaftspolitischen Weisheiten ihres Euro-Politikers Sven Giegold parteipolitische Linie sein sollten. JWD


Friederike Spiecker und Heiner Flassbeck beziehen mit einem heute veröffentlichen Artikel auf die offenbarte wirtschaftspolitische Inkompetenz der Grünen:

24.02.2014 [Quelle: fassbeck-economics.de]
Sven Giegold und die grüne Verdrängungsmaschine
Sven Giegold, Europaparlamentarier der Grünen und für viele im linken Spektrum der Grünen immer noch ein Hoffnungsträger, hat in der ZEIT vergangene Woche ein schlimmes Stück geschrieben, in dem er Sahra Wagenknecht angreift, weil sie einer Spaltung Europas das Wort rede und dem Euro Schuld für Vorgänge gebe, die von der Wirtschaftspolitik zu verantworten seien. Was sich hier vor allem wieder einmal zeigt, ist die Tatsache, dass die Grünen kein wirtschaftspolitisches Konzept haben und sich davor drücken, eines zu entwickeln. Und der Beitrag in der ZEIT zeigt zudem, dass die Grünen nicht wahr haben wollen, erhebliche Mitschuld an der Eurokrise zu haben, weil Deutschlands Lohndumping mit ihrer Zustimmung geschehen ist.

Zunächst kann niemand, der ernst genommen werden will, zu diesem Thema schreiben, ohne die deutsche Abwertungsstrategie seit Beginn der Währungsunion klar und deutlich anzusprechen. Giegold sagt kein Wort dazu. Wer das nicht sagt, kann logischerweise auch nicht sagen, dass Lohnsenkung als Ersatz für eine Abwertung der Währung ein Katastrophenszenario mit Massenarbeitslosigkeit und Elend heraufbeschwört. Stattdessen schreibt Giegold: “Wenn nicht nur (sic!) die Löhne in den Defizitländern gesenkt worden wären und Deutschland seine Gesamtnachfrage schneller gesteigert hätte, hätten in Spanien, Portugal, Irland und Griechenland viele Arbeitslose vermieden werden können.” Das heißt ja, dass Giegold die Lohnsenkung in Südeuropa, eingebettet in andere Maßnahmen (denn so macht in dem zitierten Satz das “nur” einen Sinn), befürwortet! Oder soll obiges “nicht nur” bedeuten, die Löhne hätten auch noch anderswo als in Südeuropa gesenkt werden sollen? Etwa in Deutschland? Aber wie stellt sich Giegold dann eine Steigerung der Gesamtnachfrage hierzulande vor? Allein durch die Fiskalpolitik? Nein, der Satz, so schlecht und unklar er formuliert sein mag, ergibt nur Sinn, wenn man ihn dahingehend versteht, dass Giegold der Lohnsenkung in Südeuropa keine vehemente Absage erteilt.

Konsequent spricht er auch lediglich die zu hohen Lohnsteigerungen in Südeuropa im Vorfeld der Krise an (“Natürlich sind die Löhne in den Krisenländern im Vergleich zu Deutschland zu schnell gestiegen.”), nicht jedoch die zu niedrigen Lohnsteigerungen in Deutschland, ohne die die Eurokrise niemals in diesem Ausmaß entstanden wäre. Man stelle sich vor, Giegold hätte geschrieben “Natürlich sind die Löhne in Deutschland im Vergleich zu den Krisenländern zu langsam gestiegen.” – welch ein Aufschrei es da wohl geben würde! Dabei wäre dieser spiegelbildliche Satz ausweislich der Empirie richtiger als der Satz, den Giegold gewählt hat. Denn der Referenzmaßstab für eine vernünftige Lohnpolitik war und ist die Zielinflationsrate von 2 Prozent der Europäischen Zentralbank, die jedes Mitgliedsland der Europäischen Währungsunion möglichst genau hätte einhalten sollen mit der Entwicklung seiner gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten. Und gemessen daran lagen die Krisenländer nicht so stark daneben wie Deutschland, das haben wir auf flassbeck-economics schon viele Male gezeigt.

Und weil Giegold sich nicht klar von Lohnsenkung bzw. Lohnmoderation als Mittel der Wirtschaftspolitik distanziert, kann er natürlich nicht klar benennen, dass dieses in Deutschland jahrelang angewendete Mittel bereits hier gravierende Missstände heraufbeschworen hat, die nur deshalb nicht so schlimm ausgefallen sind wie jetzt die gleiche Kur in Südeuropa, weil Deutschland zum einen die Vorreiterrolle beim Export von Arbeitslosigkeit übernommen hatte und zum anderen in einem klar nicht-deflationären Umfeld operieren konnte. Damit hat Deutschland einen Teil der durch die falsche Lohnpolitik selbst eingebrockten Lasten den anderen Währungspartnern aufbürden können. Das können die anderen nun nicht so einfach wiederholen, weil Deutschland nicht in die Rolle schlüpft, die die Südeuropäer ungefähr zehn Jahre lang gespielt haben, so dass sie sich nun in eine offene Deflation begeben müssen, wollen sie sich den deutschen Lohnstückkosten annähern. [..]

Weiterlesen im Originaltext bei ' flassbeck-economics.de ' ..hier


Passend zum Thema:

22.02.2014 [Quelle: spiegel.de]
“Unfairer Vorteil”: Außenministerium kritisiert deutschen Exportüberschuss
Das Auswärtige Amt schließt sich der europäischen Kritik am hohen deutschen Exportüberschuss an und fordert, zu dessen Abbau die Binnennachfrage anzukurbeln. “Genau wie die Defizitländer in der Pflicht stehen, ihre Situation zu verbessern, gibt es auch eine Verpflichtung für die sogenannten Überschussländer wie Deutschland”, sagte der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD).
Roth kritisierte: “Durch den ausufernden Niedriglohnsektor in Deutschland, durch die Zunahme von prekärer Beschäftigung haben wir uns einen unfairen Vorteil gegenüber unseren Partnerländern verschafft. Der muss perspektivisch beseitigt werden.” Die Abmilderung der Leistungsungleichgewichte in der Europäischen Union sei “nicht nur eine Aufgabe der Defizitländer, sondern auch eine Aufgabe von Deutschland”.
Die Aussagen sind beachtlich, weil die Bundesregierung Kritik am deutschen Handelsüberschuss bislang stets zurückgewiesen hatte…

Weiterlesen im Originaltext bei ' spiegel.de ' ..hier


Anmerkung eines Nachdenkseitenlesers (J.A.) zum dortigen Tageshinweis:
Eine Stimme der Vernunft im anhaltenden Irrsinn, interessanterweise gerade aus dem Ministerium des Agenda-2010-Consigliere Steinmeier, der für die hier kritisierte Politik maßgeblich mitverantwortlich ist. Nur verstehe ich nicht das Wort “Vorteil” – in Lohndumping-Deutschland haben vielleicht die Unternehmen Vorteile, aber die Arbeitnehmer – für mich “Deutschland” – doch erhebliche Nachteile. [zum Originaltext ..hier]


 
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