<< zurück | Home | JWD-Nachrichten | Teilen |

18.09.2014 09:40
Die zunehmende Ungleichheit und ihre Wurzeln
Wer die Ungleichheit in Europa bekämpfen will, muss die Fehlfunktion des Arbeitsmarkts beheben. Flexibilisierung vergrößert die Ungleichheit nur. [Quelle: flassbeck-economics.de] JWD

Die große und zunehmende Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung ist zu einem brisanten politischen Thema geworden. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht von der einen oder anderen Partei Korrekturen gefordert werden, weil die Ungleichheit ökonomisch kontraproduktiv und sogar gefährlich für die Demokratie sei.

Erstaunlich ist, dass wenig über die Ursachen der Ungleichheit gesprochen wird. Für viele, und Thomas Piketty hat dieser Sicht ein voluminöses wissenschaftliches Mäntelchen umgehängt, ist die Ungleichheit quasi ein Naturgesetz. Im Kapitalismus ist das eben so, sagt man, da ist das Kapital so stark und so wichtig, dass es seine Einkommensverhältnisse dauernd zu Lasten der anderen, der Arbeit und des Staates, verbessern kann.

Das ist eine gefährliche und falsche Sichtweise. Sie basiert auf der neoklassischen Theorie, die vermutet, dass sich die Preise für die Produktionsfaktoren auf Märkten bilden, die letztlich zum Ausgleich neigen, wenn man nur die nötige „Flexibilität“ der Preise – und der Löhne natürlich – zulässt. Zunehmende Ungleichheit ist aus dieser Sicht immer auch ein Ergebnis der für das Funktionieren der Märkte notwendigen Flexibilität. Deswegen kann es passieren, dass die gleichen Autoren, die Ungleichheit der Einkommensverteilung beklagen, auch mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt fordern. Einige erwarten dann allerdings vom Staat, dass er die schlimmsten Folgen der „natürlichen“ Ungleichheit auf der Stufe der Sekundärverteilung, also mit dem Steuer- und Sozialsystem, etwas korrigiert.

Diese Sicht ist ganz grundlegend falsch, weil sie unterstellt, der Arbeitsmarkt funktioniere wie ein Kartoffelmarkt. Droht demnach Arbeitslosigkeit, muss man die Löhne senken, selbst wenn das die Ungleichheit vergrößert. Genau so funktioniert das kapitalistische System aber nicht! Im Gegenteil: Steigt, wie im Gefolge der Finanzkrise von 2008, die Arbeitslosigkeit, verschlechtert eine Lohnsenkung unmittelbar die wirtschaftliche Situation, führt zu weiter steigender Arbeitslosigkeit und vergrößert die Ungleichheit.

Die steigende Arbeitslosigkeit nach 2008 war Folge des Nachfrageausfalls, der durch die Finanzkrise ausgelöst worden ist, also durch das Zusammenbrechen spekulativer Investments und deren negative Folgen für die Einkommensentwicklung der Spekulanten.

Vertraut man in einer solchen Situation auf den „Marktmechanismus“ am Arbeitsmarkt, also auf den Druck, der von der höheren Arbeitslosigkeit auf die Lohnentwicklung ausgeht, verschlechtert man die Situation weiter. Weniger steigende oder gar sinkende Löhne verringern unmittelbar die Güternachfrage und führen zu neuer Arbeitslosigkeit. Man destabilisiert das gesamte System und die Ungleichheit nimmt zu, wenn man auf die „normale“ Funktionsweise des Arbeitsmarktes (als Kartoffelmarkt) setzt. Man konnte das in den letzten Jahren in Südeuropa in großer Klarheit beobachten. Lohnsenkung wurde von der Troika verordnet und durchgesetzt, herausgekommen ist extrem hohe Arbeitslosigkeit und mehr Ungleichheit.

Arbeitsmarktflexibilität aber war und ist das Rezept, das die Wirtschaftspolitik in fast allen Industrieländern seit den 70er Jahren immer wieder anwendet. „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ und noch mehr Macht für die Arbeitgeber ist die Zauberformel, mit der eine aus welchen Gründen auch immer entstandene Arbeitslosigkeit bekämpft wird. Das hat nie funktioniert und schafft immer neue Arbeitslosigkeit, der dann nach dieser Lehre wieder mit Lohnkürzungen und einem Abbau sozialer Leistungen begegnet werden muss.

Die neoliberale Revolution, begonnen von Thatcher, Reagan und Kohl und fortgesetzt von Rot-Grün in Deutschland zu Beginn der 2000er Jahre, die sich die Rückkehr zum reinen Markt zum Ziel gesetzt hatte, ist unmittelbar verantwortlich für die entstandene und weiter entstehende Ungleichheit und zugleich für das Versagen der Industrieländer beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Dass Deutschland trotz einer Unterbeschäftigung von vier Millionen Personen etwas besser dasteht, hat nur mit der Europäischen Währungsunion zu tun und mit der Tatsache, dass Deutschland mit einer Strategie der Lohnsenkung in der Währungsunion einen Teil seiner Arbeitslosigkeit exportieren konnte. Der gewaltige Überschuss der deutschen Exporte über die Importe ist der unmittelbare Beweis dafür.

Wer versucht, die Ungleichheit zu beseitigen, ohne die Fehlfunktion des Arbeitsmarktes zu analysieren, kommt keinen Schritt weiter. Hätten die Lohnsenkungen (relativ und absolut) in den vergangenen 40 Jahren so gewirkt, wie das die neoklassische Theorie vermutet, wäre es auch nicht zu permanent zunehmender Ungleichheit gekommen. Sinkende Arbeitslosigkeit und die Rückkehr zur Vollbeschäftigung hätten in diesem Fall die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt wieder zugunsten der Arbeitnehmerseite verschoben und wenigstens bei der Primäreinkommensverteilung (also bei der Verteilung über Lohnverhandlungen) eine Korrektur bewirkt. Dass es nicht dazu gekommen ist, sollte für jeden vernünftigen Menschen Anlass sein, das gesamte Konzept des neoklassischen Arbeitsmarktes in Frage zu stellen. [...]

Weiterlesen im Originaltext bei ' flassbeck-economics.de ' ..hier


Passend zum Thema:

12.09.2012 16:30
Der Arbeitsmarkt ist kein Kartoffelmarkt und funktioniert genau entgegengesetzt
Heiner Flassbeck - Bei der “Ersten Pluralistischen Ergänzungsveranstaltung zur Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik” veranstaltet vom Arbeitskreis Real World Economics hält Heiner Flassbeck einen erhellenden Vortrag zum Thema Arbeitsmarkt und dem völligen Versagen der neoklassischen Paradigmen. JWD  ..mehr


Empfehlung: Zum Thema neoklassische Grundirrtümer ist der Aufsatz von Friederike Spiecker und Heiner Flassbeck sehr hilfreich:

15.09.2014 [Quelle: flassbeck-economics.de]
Vollgeld – die Kritik der Kritik

Professor Joseph Huber, Inhaber des Lehrstuhles für Wirtschafts- und Umweltsoziologie an der Universität Halle und in Deutschland der profilierteste Vertreter des Vollgeldkonzeptes, hat auf unsere Kritik am Vollgeld geantwortet. Zu finden ist das hier.

Die Antwort ist aber, um es milde zu sagen, enttäuschend. Professor Huber bestätigt nämlich explizit, dass diese Lehre sich ohne Abstriche auf die sogenannte Quantitätstheorie beruft, die auch dem Monetarismus zugrunde lag. Zwar lehnt er die Gleichsetzung oder auch nur Nähe der Vollgeldidee mit dem Monetarismus ab, aber das hilft ja nicht weiter. Wenn ich ein Tier sehe, das aussieht wie ein Elefant, sich benimmt wie ein Elefant und Töne macht wie ein Elefant, dann nenne ich es Elefant, auch wenn das Tier es explizit ablehnt, Elefant genannt zu werden. Wir haben den Monetarismus ja hauptsächlich wegen der naiven Verwendung der „Quantitätstheorie“ kritisiert, folglich gilt die Kritik für jeden, der sie in gleich naiver Weise verwendet.

Professor Huber hat sicher nicht gelesen, was wir im zweiten Teil der Serie über die Quantitätstheorie geschrieben haben. Sonst hätte er diese „Theorie“ vermutlich nicht so vehement verteidigt. Er schreibt:
    „Die Quantitätstheorie des Geldes ist eine der ältesten und bewährtesten ökonomischen Lehren überhaupt. Sie ist heute so grundlegend wie seit jeher und sie beinhaltet, dass der Schlüssel zu sicherem Geld und stabilen Finanzen, zumindest ihre grundlegende Voraussetzung, in der Geldmenge und also auch der geldpolitischen Kontrolle über die Geldmenge liegt. Neben der rechtlichen Weisungsbefugnis bzw. Kommandogewalt ist Geld – und zwar nicht nur seine Allokation und Verteilung, sondern zuvor schon seine Schöpfung und Erstverwendung – das bedeutendste Mittel gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsausübung.“
In unserer Kritik am Monetarismus vom 19. 2. 2014 heißt es: „Die erste Zutat zum Friedmanschen Rezept war die sogenannte Quantitätstheorie. Für jeden Menschen, der sich vor Beginn der siebziger Jahre schon einmal mit dieser „Gleichung“ auseinandergesetzt hatte, war es mehr als verblüffend zu sehen, mit welcher Leichtigkeit die daraus gezogenen Lehren von den Spitzen des Fachs akzeptiert und vollkommen verinnerlicht wurden. Ich lernte schon während meines Studiums, vor allem aber während meiner Zeit im Stab des Sachverständigenrats Ökonomie vor allem mithilfe der Lektüre von Schumpeters „History of Economic Analysis“ (ein phantastisches, aber keineswegs leichtes Buch, von dem es meines Wissens auch keine gute deutsche Übersetzung gibt). Wer die vielen Passagen in diesem Werk über die Geschichte der Quantitätstheorie und deren inhärente Logik auch nur einigermaßen erfasst hatte, konnte nur staunen über die Naivität, mit der weltweit, aber ganz besonders in Deutschland den Monetaristen diese uralte Lehre aus der Hand gefressen wurde. [...]

Weiterlesen im Originaltext bei ' flassbeck-economics.de ' ..hier

 
<< zurück | Home |