|
<< zurück | Home |
JWD-Nachrichten |
Teilen
|
19.08.2018 02:00
Moritz Enders über Anschläge:
"Es gibt immer eine Wahrheit hinter der
Wahrheit"
In der gestrigen Sendung von Klagemauer.TV wurden Hinweise kommentiert, die
darauf abzielen, dass die
Morandi-Brücke möglicherweise in Folge eines Anschlags
eingebrochen ist. Wie wenig abwegig derartige Spekulationen in unsere zunehmend
dekadenten Gesellschaft leider schon sind, wird im
anschließenden, bereits 2017 gesendeten Video mit Moritz Enders gezeigt. Darin
wird über dokumentierte, teils staatsterroristische Anschläge aus der jüngeren
Vergangenheit berichtet. JWD
Klagemauer.TV | 18. August 2018 | Teil 2
Quelle: kla.tv | veröffentlicht 02.01.2017
Moritz Enders über Anschläge:
„Es gibt immer eine Wahrheit hinter der Wahrheit“
Sendungstext:
Der deutsche Moritz Enders arbeitet als Journalist, Autor und Regisseur für TV-
Dokumentationen. Bekannt wurde er als Autor einer TV-Dokumentation über das
Papstattentat von 1981. Enders mahnt zu kritischer Distanz in der Beurteilung
von Attentaten und Anschlägen. Es gäbe immer Interessen, die nicht im Zuge der
ersten Ermittlungen ans Licht kommen.
In einem am 29. Dezember veröffentlichten Interview, das die „Deutschen
Wirtschafts Nachrichten“ mit Moritz Enders führten, spricht Enders über
Hintergründe des internationalen Terrorismus sowie über den neusten Anschlag auf
den Berliner Weihnachtsmarkt. Er hält Zweifel für berichtigt, ob der mutmaßliche
und inzwischen getötete Attentäter Anis Amri tatsächlich für den Anschlag
verantwortlich ist. Hören Sie nun selbst.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Im vergangenen Jahr lief im ZDF Ihre
Dokumentation „Schüsse auf dem Petersplatz“, die sich mit dem Attentat auf Papst
Johannes Paul II. im Jahr 1981 auseinandersetzt. Darin ging es unter anderem um
das Zusammenwirken westlicher Geheimdienste mit terroristischen Gruppierungen.
Sehen Sie hier Parallelen zu unserer heutigen Zeit?
Moritz Enders: Der Ermittlungsrichter Rosario Priore, der das
Papstattentat dreizehn Jahre lang untersucht hat und der ein sehr lesenswertes
Buch über den internationalen Terrorismus geschrieben hat, hat mir gesagt, dass
fast jeder größere terroristische Akt Staatsterrorismus sei. Wenn wir uns in die
Zeit der siebziger und frühen achtziger Jahre zurückversetzen, also die Zeit,
mit der mein Kollege Werner Köhne und ich uns für den Film beschäftigt haben,
muss ich sagen, dass an der Aussage von Priore etwas dran ist. Besonders in der
Türkei und in Italien, zwei Ländern, die für die USA strategisch immens wichtig
waren, wurde die sogenannte „Strategie der Spannung“ verfolgt.
Darunter ist zu verstehen, dass Attentate und politisch motivierte Morde
zumindest unter Mithilfe der Geheimdienste ausgeübt worden sind. In der Türkei
führte die instabile Lage im Jahr 1980 zum Militärputsch, in Italien wurde eine
Beteiligung der kommunistischen Partei an der Regierung verhindert. Natürlich
leben wir heute in anderen Zeiten. Trotzdem sollte es sich lohnen, ein paar ganz
konkrete Fragen zu der terroristischen Bedrohung und den Anschlägen in unseren
Tagen zu stellen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Fragen wären das?
Moritz Enders: Nehmen wir den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt.
Was hier zunächst verblüfft ist, dass der vermeintliche Attentäter schon wieder
seine Ausweispapiere im Tatfahrzeug liegengelassen haben soll. Hier ist ein
Pattern (Muster) zu erkennen, das sich seit den Anschlägen vom 11. September
2001 über die Attacken auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ und
die Vorfälle von Paris und in Nizza immer wieder wiederholt. Wie wahrscheinlich
ist das? Ich habe in meine Suchmaschine einmal den Begriff
„Wahrscheinlichkeitsrechnung“ eingegeben und gelernt, dass man bei einem
„mehrstufigen Zufallsexperiment“ jedes Zwischenergebnis mit dem Ausgangswert
multiplizieren soll.
Wenn Sie mit einem ungezinkten Würfel würfeln, ist die Chance, dass Sie eine
Sechs würfeln, eins zu sechs. Die Chance, dass Sie zwei Mal hintereinander eine
Sechs würfeln ist aber nicht eins zu zwölf, sondern 1 zu 36. Wenn Sie fünf Mal
hintereinander würfeln wäre die Chance, dass Sie fünf Mal eine Sechs würfeln 1 :
7776. Mit anderen Worten, sie läge bei 0.01286%. Hinzu kommt noch die Tatsache,
dass sämtliche Täter ums Leben gekommen sind. Zumindest bei den vermeintlichen
Attentätern auf Charlie Hebdo und vor allem bei Anis Amri war das alles andere
als selbstverständlich. Wie wahrscheinlich ist es, dass Amri zwei Tage nach der
Tat in der Nähe von Mailand zufällig in eine Polizeikontrolle gerät? Und wie
wahrscheinlich ist es, dass er dabei das Leben verliert? […]
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wer aber könnte denn ein Interesse an
einem derartigen Attentat haben? Der IS?
Moritz Enders: Der Fall müsste zunächst einmal kriminalistisch aufgelöst
werden. Mit vorschnellen Festlegungen auf eine Variante laufen wir Gefahr,
andere Möglichkeiten a priori auszuschließen. Ich habe gehört, dass sich der IS
zwischenzeitlich zu dem Anschlag bekannt hat. Aber wo genau kam diese
Information her? Über welche Website wurde sie verbreitet? Nach meinem
Dafürhalten gibt es eine ganze Reihe von Varianten, die man sich anschauen
könnte.
Entweder Amri war es tatsächlich, er agierte allein und tat dies im Auftrag des
IS. Oder er agierte allein, hatte mit dem IS nichts weiter zu tun und der IS hat
sich nachträglich zu dem Anschlag bekannt. Oder Amri agierte allein und eine
unbekannte dritte Partei hat die Tat dem IS über ein fingiertes
Bekennerschreiben unterschieben wollen. Oder Amri hatte bei der Tat einen oder
mehrere Komplizen, die ihm dabei geholfen haben könnten, den LKW-Fahrer in
Schach zu halten. Oder Amri war es gar nicht und eine unbekannte dritte Partei
hat seine Duldungsbescheinigung im LKW deponiert. Oder, oder, oder.
Inzwischen ist die Tat ja politisch eingeordnet worden, aber die Täterschaft von
Amri ist für mich nicht bewiesen. Als mein Kollege Werner Köhne und ich die Doku
über das Papstattentat von 1981 gedreht haben, sind wir auf ein ähnliches
Phänomen gestoßen. Es galt zwischenzeitlich als ausgemacht, dass der bulgarische
Geheimdienst hinter dem Attentat steckte. Heute wissen wir, dass dies mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht so war.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie konnte es zu dieser
Fehleinschätzung kommen?
Moritz Enders: Offensichtlich wurde der Attentäter, Ali Agca, im
Gefängnis von Mitarbeitern des italienischen Geheimdienstes aufgesucht und mit
Informationen versorgt, die ihm halfen, einen Bulgaren, den man sich als
Sündenbock ausgesucht hatte, zu belasten.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Und Sie glauben, Anis Amri sei auch so
ein Sündenbock?
Moritz Enders: Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung. Vielleicht ist ja der
Anschlag auf dem Breitscheidplatz tatsächlich so abgelaufen wie es uns die
meisten Medien nahelegen. Vielleicht begnügen wir uns ja damit. Dann bleibt eine
diffuse Angst vor Terrorismus zurück. Andere Varianten werden dann nicht mehr
diskutiert. Das „Gladio“-Netzwerk, eine Untergrundbewegung der NATO, die in
Attentate verwickelt war, ist ja auch erst Anfang der 90er Jahre aufgeflogen. Zu
diesem Zeitpunkt hatten sie bereits über Jahrzehnte ihr Unwesen getrieben.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ein Terrorismus also, der ferngesteuert
und instrumentalisiert wird?
Moritz Enders: Wir können ja alles so schlucken, wie es uns präsentiert
wird: Durchgeknallte Einzeltäter oder Terroristen richten Massaker an, in Paris,
in Nizza und jetzt in Berlin. Oder wir fragen uns, was zurzeit schief läuft,
beispielsweise in Nordafrika und im Nahen Osten. In Syrien arbeiten westliche
Geheimdienste ja offensichtlich mit zahlreichen Gruppierungen zusammen, die
Präsident Assad stürzen sollen. Es wäre aberwitzig, darin etwas anderes zu sehen
als einen geopolitischen Konflikt, bei dem es um Rohstoffe und Pipelines geht,
der aber indirekt auch gegen Russland gerichtet ist. Damit wird eine Agenda
verfolgt, die schon lange ausgearbeitet worden ist, lange bevor der Krieg um
Syrien entbrannt ist. Jetzt, wo die syrischen Truppen Aleppo von den Söldnern
zurückerobert haben, drohen den westlichen Staaten die Felle davonzuschwimmen.
Umso mehr, wenn es eine Verständigung zwischen Russland und der Türkei geben
sollte. Vor diesem Hintergrund kam für mich die Ermordung des russischen
Botschafters in Ankara, Karlov, nicht überraschend.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Immerhin hat der Mörder von Karlov ja
ebenfalls das Leben verloren.
Moritz Enders: Das bedeutet aber nicht, dass er nicht instrumentalisiert
worden ist. Vielleicht ist diese zeitliche Nähe ja auch nur zufällig. Vielleicht
hatte die Ermordung von Karlov ja nichts mit der Situation in Aleppo und der
sich abzeichnenden Annäherung zwischen Russland und der Türkei zu tun. Aber die
Zufälle häufen sich. Der Abschuss eines russischen Militärflugzeugs an der
türkisch-syrischen Grenze vor einigen Monaten und der Angriff US-amerikanischer
Kampfjets auf die syrische Armee vor einigen Wochen fallen ebenfalls in diese
Kategorie. Möglicherweise ist auch der Tod des NATO-Rechnungsprüfers Yves
Chandelon in diesem Zusammenhang zu sehen. Laut türkischen Medien soll Chandelon
herausgefunden haben, dass – ich zitiere – „ein „europäischer Geheimdienst“ über
Privatfirmen Terrororganisationen finanziert und sie entlang eigener Interessen
in Europa einsetzt. Der betroffene Dienst soll zu einem Staat gehören, der
sowohl NATO-Mitglied als auch EU-Mitglied sei.“
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Jetzt mischen Sie aber militärische
Attacken, Morde und Terrorismus…
Moritz Enders: Die Frage ist doch, ob wir Terrorismus isoliert betrachten
oder ob wir ihn als ein Herrschaftsinstrument ansehen, dessen sich Geheimdienste
und Staaten bedienen können – so wie sie auch auf andere Methoden zurückgreifen:
Medien- und Propagandakampagnen, Desinformation, Sanktionen oder ähnliches. Dies
alles ist Begleitmusik zu größeren geopolitischen Auseinandersetzungen. In den
70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts war dies der Kalte Krieg. Heute
geht es um die Kontrolle des rohstoffreichen Mittleren Ostens. Zudem sollen ein
Erstarken Russlands und ein friedliches Zusammenleben zwischen Russland und der
EU verhindert werden. Es ist aber möglich, dass sich der Fokus der
US-amerikanischen Politik in der nächsten Zeit verschieben wird. Möglicherweise
geht es dann ja nicht mehr so sehr gegen Russland und vermehrt gegen China.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Terrorismus und geheimdienstliche
Aktivitäten lassen sich also nicht sauber voneinander trennen?
Moritz Enders: In den 70er und 80er Jahren gab es da eindeutige
Überschneidungen. Was unsere heutige Zeit anbelangt, so ist das, so weit ich
weiß, noch nicht dokumentiert. Das ist allerdings keineswegs überraschend, auch
die Machenschaften von Gladio kamen seinerzeit ja eher zufällig ans Licht. Um
einen unserer Gesprächspartner aus der Dokumentation über das Papstattentat zu
zitieren: „Es gibt immer eine Wahrheit hinter der Wahrheit und dahinter wieder
eine andere Wahrheit und irgendwann kommt man vielleicht darauf, dass die erste
Wahrheit die tatsächliche Wahrheit ist.“ Oder auch wieder nicht. Ein gesundes
Misstrauen gegenüber vorschnellen Erklärungen werde ich mir also bewahren.
Letzten Endes kann man sich ja immer die Frage stellen: Cui bono? Wem nützt das
Ganze? (Quelle)
Link zum Originaltext bei ' klagemauer.tv '
..hier
<< zurück
| Home |
|
Tags: Italien,
Morandi-Brücke, Moritz Enders, Staatterrorismus, Gladio, Geheimdienste,
Anis Amri, Cui bono? |
|
|
|
|